23/11/12

Die Kirche der Griechen (aus einem Gedicht K.P. Kavafis)–Gedanken zur ökumenischen Bedeutung von Hellenismus und Orthodoxem Christentum


Dr. Achilleas Anastasiadis
Vortrag gehalten in der Griechisch-Orthodoxen Kirchengemeinde der “Heiligen Drei Hierarchen” in Hannover im September 2012.
 
Als Ausgangspunkt soll ein Gedicht von Konstantinos Kavafis dienen:

IN DER KIRCHE

Ich liebe die Kirche – ihre sechsfach geflügelten
Cherubim, ihre silbernen Gefäße, ihre Leuchter,
Ihre Lichter, Ikonen und Kanzeln.

Wenn ich sie betrete, die Kirche der Griechen,
Mit dem Duft ihres Weihrauchs,
Den Gesängen und liturgischen Chören,
Der feierlichen Erscheinung der Priester,
In prächtige Gewänder gekleidet
Und mit dem ernsten Rhythmus ihrer Gesten
Wird mein Geist von der Größe unseres Volkes erfüllt,
Vom Ruhm unseres Byzanz

Konstantinos Kavafis lebt zwischen der 2. Hälfte des 19. und 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ist einer der bedeutendsten griechischen Dichter der Neuzeit und verkörpert das, was den ökumenischen Hellenismus ausmacht: er ist geprägt von einem Kulturpatriotismus, der frei ist von jeder Form von Rassenpatriotismus. Dabei fühlt er sich selbst mehr “griechisch” (oder “hellenisch”) denn als Grieche im nationalen Sinne. Als gebürtiger Alexandriner mit Wurzeln aus Konstantinopel, ist er Erbe einer Jahrtausende alten hellenischen Zivilisation, die mehr durch Ausstrahlung, als durch Eroberung entstanden ist, einer Zivilisation die über territoriale Grenzen hinaus reicht.

Was ist nun diese “Kirche der Griechen” und der “Ruhm des Byzanz” auf die der Dichter anspielt? Wie stehen diese Größen Hellenismus und Christentum zu einander und wie sind sie dabei zu verstehen? Bei Kavafis - und dies steht im Einklang mit der allgemeinen orthodoxen theologischen Auffassung - nicht als Rivalität und Erlöschung des alten Kultes durch den neuen Glauben, sondern vielmehr als Kontinuität  und im  Dialog.

In diesem Zusammenhang sollen 3 Punkte betrachtet werden:

1) Hellenismus - was macht ihn aus? Merkmale und Prioritäten

2) Christentum - welche Merkmale des Hellenismus finden darin Platz?

3) Relevanz für unsere heutige Zeit



1) Hellenismus - Definition und Merkmale

Definition von Hellenismus: Das Wort entsteht durch Substantivierung des Verbes “hellenizo” (griechisch sprechen) und umfass somit die griechische Sprache, die  Gesamtheit der griechisch Sprechenden, sowie ihre Kultur.

Das Herz des Hellenismus ist die griechische Sprache - die Genialität der Sprache liegt in deren  Alphabet – es ist das erste „echte“ Alphabet, eines in dem seine 24 Schriftzeichen erstmalig sämtliche Konsonanten und Vokale der Sprache darstellen können.

Was sind die frühsten Schriften, die uns in griechischer Sprache erhalten sind? Es sind keine kommerziellen Aufzeichnungen, keine Grabinschriften, keine königlichen Annale oder Erlasse, auch keine Verträge oder Gesetzbücher: Es sind poetische hexameter. Es handelt sich hierbei um den Ausdruck von Schönheit in Form von Sprache.

Dichter und Dramatiker - sie entwickeln in ihrer Literatur das gemeinsame hellenische Ideal des Menschen mit Potential zur Erlangung höchster Ehrbarkeit und Würde.

Philosophen -  Ein Ausstrecken nach Wahrheit, nach dem Logos - dem Ursprung, dem Sinn, dem  Verhältnis alles Seienden, dem wahrhaftig Seienden und der Harmonie und Gesetzmäßigkeit eines Universums, das als Kosmos verstanden wird: als “Schmuck” , als Gegenstand von “Schönheit und Ordnung”.

Gemäß Prof. Christos Yannaras ist Hellenismus ein
Vorschlag. Es wird ein Vorschlag darüber gemacht, wie eine Gesellschaft ihre gemeinschaftlichen Bedürfnisse priorisiert:
In allen Dingen, welche die Gemeinschaft betreffen, strebt man nach der Wahrheit, als Quelle der Einheit von Schönheit und Güte. Dieses Streben gleicht dem eines Athleten der kontinuierlich kämpft, um das nächste Niveau zu erreichen.

Wahrheit beschränkt sich dabei nicht auf faktische Aussagen, sondern wird als gemein- schaftliche athletische Erfahrung verstanden, die von jedem einzelnen erlebt und empirisch bestätigt wird. Wissen und Logik, als die “Kunst rechte Schlussfolgerungen” vorzunehmen, hat als Zweck “rechte Gemeinschaft zu pflegen”, ist also kein Selbstzweck und wird nicht rationalistisch und individualistisch verstanden: Andere Erkenntnisquellen außerhalb der Ratio werden nicht abgelehnt oder abgewertet, wie es oft heute in der westlichen Zivilisation in großem Maße der Fall ist.

Der Prozess der Erziehung und Bildung als Paideia ermöglicht die Verwirklichung dieser gemeinschaftlichen athletischen Erfahrung in der einzelnen Person, die sich für das Wohl der Gemeinschaft darin einbringt und innerhalb dieser Gemeinschaft nach den Höhen des menschlichen Geistes strebt, ohne dabei die sakralen Grenzen der Gemeinschaft zu übertreten.  

Diese Priorisierungen der hellenischen Zivilisation durchlaufen eine historische Entwicklung, die Änderungen mit sich bringt; der Kontakt mit dem Fremden war immer Bestandteil dieser Zivilisation, die es versteht, fremde Elemente, wo diese mit deren Grundsätzen und Zielen komform gehen, aufzunehmen und sich zu Eigen zu machen. Dabei bleiben deren existentielle Prioritäten, bestehen, verwirklichen sich und finden im Christentum jedoch ihre Erfüllung.
 
 2) Christentum und Hellenismus

Während der hellenistischen Jahre wurde durch das griechische Alphabet und die darin niedergeschriebene Literatur der gesamte Mittelmeer-Raum für die Aufnahme des Evangeliums vorbereitet. Christus wird erkannt, als der liebende Gott, nach dem sich die hellenische Philosophie und Literatur in ihrem Ausstrecken nach Wahrheit und Sein sehnt und den das Volk als „unbekannten Gott“ bereits verehrt (Apg. 17:27).

Der deutsche Politiker und Journalist Hans Stercken schreibt: „[..] die Antike ist ja auch in der christlichen Lehre Fleisch geworden und hat damit eine neue Gestalt angenommen. In welcher Tradition erfüllt sich eigentlich das klassische Erbe besser als in der Vermittlung christlicher Heilsvorstellungen.“

Die Neutestamentliche Literatur bringt die zwei großen Traditionen der Hebräer und Griechen in Einklang: Der im Gesetz Mose offenbarte lebendige Gott der Hebräer, erfüllt deren messianische Erwartungen und offenbart sich gleichermaßen “den Nationen”. Die Sehnsüchte der Griechen, die sich in deren Philosophie und Religion nach dem göttlichen Ausstrecken, werden in Dessen Offenbarung erfüllt. Aber die Botschaft des Evangeliums umfasst ein noch viel größeres Spektrum, denn in Christus Jesusist weder Jude noch Grieche (Gal. 3:28), wie der Apostel Paulus an die Gemeinde der Galater schreibt. Die frohe Botschaft Christi richtet sich an alle Menschen. Die Sprache der Philosophie wird vom frühen Christentum verwendet, erhält jedoch einen neuen Sinn durch die Person Christi: Gott ruft den Menschen in eine ewige Beziehung der Liebe lädt ihn ein, am trinitären Leben Gottes teilzuhaben; einem Leben was frei ist von jeder Notwendigkeit, Zeitlichkeit, Verfall und sogar dem Tod.

Professor Yannaras stellt zwei Eigenschaften der authentischen kirchlichen Erfahrung auf. Das eine Kriterium ist theologisch und das andere geschichtlich. Das theologische Kriterium behandelt die Teilnahme des Gläubigen am Sieg Christi über den Tod. Diese Teilnahme geschieht im Leben der Kirche und ist demnach keine Ideologie, keine Intellektuelle metaphysische Überzeugung, keine moralische oder sogar religiöse Weltanschauung, die als Ziel eine reibungslosere Gestaltung unseres irdischen Lebens hat. Das geschichtliche Kriterium behandelt die historische Kontinuität der ursprünglichen apostolischen Überlieferung. Und genau diese versteht das Orthodoxe Christentum als  “Kirchliche Tradition”. Diese beiden Kriterien, die Teilnahme am Sieg Christi über den Tod, sowie die Kontinuität der apostolischen Überlieferung in der Geschichte, vereinen und bejahen somit beide Realitäten, die einzeln bzw. getrennt von einander keinen Bestand haben können.

Genau dieser Aspekt des kirchlichen Ereignisses, der Vereinigung des “irdischen” oder geschichtlichen mit dem “himmlischen”, als transzendente Wirklichkeit, wird in Kavafis Verbindung zwischen der kulturellen und historischen Kontinuität und der ästhetischen und geistlichen liturgischen Erfahrung, die er in dieser Kirche als Einheit erlebt, verdeutlicht.

3) Relevanz für unsere Zeit

Der dominierende Vorschlag unser Zeit, der sich im Wesentlichen in der Konsumgesellschaft verkörpert,  ist der Weg des geringsten Widerstandes. Um dieser reizvollen kulturellen Kraft -  die dem Wesen unseres gefallenen Zustandes am meisten entspricht - eine reelle und gehaltvolle Alternative zu bieten, bedarf es mehr als einer intellektuellen Theorie oder trockenen Ideologie.  Das im Hellenismus ausgedrückte und verbreitete ursprüngliche Christentum ist keine Theorie oder Ideologie, sondern begründet sich in der Erfahrbarkeit des als Priorität anerkannten und angestrebten.

Ausgedrückt in den Worten von Archimandrit Tamiolakis:

Das ganze Erleben der orthodoxen Frömmigkeit lässt sich im Ereignis der Verklärung Christi auf Tabor zusammenfassen. .. Dass der Mensch in der Welt, in der er lebt und arbeitet, die Verklärung erfährt. Gott wird nicht mit der Ratio erlernt. Er offenbart sich in irgendeinem Moment dem Herzen des Menschen.  [..] Die Eucharistie ist die zentralste Offenbarung der Frömmigkeit im Leben des Menschen. ...Die heilige Kommunion ist nicht eine moralische Belohnung oder ein Familienbrauch, an dem man oft unbewusst festhält. Sie ist unsere Teilhabe am mystischen Leib Christi; sie ist das Zentrum orthodoxer Frömmigkeit. Die Menschen in der Kirche werden zu Teilen eines einheitlichen Lebens wie die Glieder des menschlichen Körpers. Das Haupt dieses Leibes ist Christus selbst.

Der ökumenische und zeitlose Vorschlag der Urchristlichen Realität ist der Keim, aus der Europa entstanden ist. Vielmehr ist sie das oft vergessene gemeinsame Erbe unserer gesamten westlichen Zivilisation. Die große Chance unserer Generation, ist dieses gemeinsame Erbe - von dem wir uns alle aufgrund diverser historischer Ereignisse in unserer westlichen Zivilisation schrittweise entfernt haben - wieder zu entdecken.

Wir als Griechen haben eine kulturelle und historische Kontinuität mit dieser Realität, die als Ferment vorhanden ist. Aufgrund diverser Schwierigkeiten, die wir als Staat in den letzten Jahrhunderten insbesondere auf politischer und wirtschaftlicher Ebene durchlebt haben, bedarf es zu seiner Entwicklung hellenistischer und christlicher Tugenden, die sich insbesondere außerhalb von Griechenland erhalten haben. Deutschland ist historisch der größte Träger solcher Tugenden und somit heute am besten geeignet, in dieser Entwicklung eine bedeutende Rolle einzunehmen.

Die erstrebenswerte gemeinsame Erkundung unserer nahezu tausendjährigen ungeteilten kirchlichen Erfahrung, kann eine bedeutende  Auswirkung auf diese Entwicklung haben. Alle daran partizipierenden Seiten hätten die Chance darin ihre wahre Identität zu entfalten und deren eigenen und gemeinsamen gesellschaftliche Prioritäten neu am Evangelium der Liebe Christi auszurichten.

Δεν υπάρχουν σχόλια: